Lernen loszulassen
Wenn es etwas im Leben gibt, das sicher ist, dann ist es das, dass Dinge passieren werden, die außerhalb unserer Kontrolle liegen. Natürlich können wir unsere Umgebung ändern, um die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass bestimmte Dinge passieren. Wir können unser Bestes tun, um uns auf Worst-Case-Szenarien vorzubereiten. Aber wir können nicht vorhersagen, ob (oder wann) sie passieren werden.
Ein übermäßiges Kontrollbedürfnis kann zu unproduktivem Stress führen, da es Menschen oft in einen erweiterten „Kampf-oder-Flucht“-Modus versetzt und Ängste sogar letztendlich weiter schürt. Denn wenn wir uns in einem emotionalen Zustand großer Unsicherheit befinde und eines großes Verlangen nach Kontrolle spüren, versuchen wir verzweifelt Gewissheit zu schaffen. Und das oft auf eine von drei Arten: Wir treffen übereilt Entscheidungen, ohne über die Konsequenzen nachzudenken – bloß weil wir etwas „festmachen“ wollen. Wir fühlen uns gelähmt und tun gar nichts. Oder wir stürzen uns auf Annahmen, um unsere Wissenslücken zu füllen. Keine dieser Reaktionen lässt uns sicherer fühlen – tatsächlich führen sie in der Regel dazu, dass wir uns mehr gestresst fühlen.
Infolgedessen werben Achtsamkeitsexperten und Psychologen oft für den Vorteil, Kontrolle loszulassen und Unsicherheit zu akzeptieren. So schlägt Helen Weng, eine klinische Psychologin und Neurowissenschaftlerin an der University of California San Francisco, vor, dass wir uns besser auf die Absicht unserer Handlungen konzentrieren sollten, anstatt auf einem bestimmten Ergebnis zu bestehen oder daran festzuhalten. Sie sagt: „Wenn Sie üben, mit Absichten zu handeln, die Ihren Werten entsprechen – wie Mitgefühl, anderen helfen, Kreativität – , kann dies das Geschehen ändern, aber Sie können kein bestimmtes festes Ergebnis erwarten. Die Dinge entwickeln sich selten so, wie wir es erwarten.“
Wie können wir lernen, in unserem Alltag mit Unsicherem und Unberechenbarem umzugehen? Im Folgenden haben wir Ihnen fünf Übungen zusammengestellt.
- Identifizieren Sie Ihre Auslöser
Der erste Schritt loszulassen, besteht darin, herauszufinden, was unser Bedürfnis nach Kontrolle auslöst. Rechnen Sie mit einer negativen Reaktion von Kollegen, die Ihnen in der Vergangenheit verletzende Dinge gesagt haben? Führt der Erfolg eines Freundes dazu, dass Sie Ihr eigenes Leben in Frage stellen und Sie gestresst sind, ob Sie in Zukunft etwas Ähnliches erleben werden oder nicht?
Sobald wir wissen, was usere Trigger sind, können wir mit Methoden experimentieren, die uns davor bewahren, in eine Sorgenspirale zu geraten. Eine einfache Übung besteht darin, inne zu halten, bewusst Luft zu holen und sich daran zu erinnern, dass das Bedürfnis nach Kontrolle nicht aus einer echten „Kampf- oder Flucht“-Situation entsteht. Hierbei können auch Meditationsapps und Achtsamkeitsspaziergänge helfen.
- Machen Sie eine „mentale Entsorgung“ Ihrer Gefühle
Manchmal ist das Bedürfnis nach Kontrolle eine Reaktion auf unangenehme Gefühle. Emotionen sind schwer zu regulieren und Sie sehnen sich möglicherweise nach einem Gefühl der Gewissheit, weil Sie nicht möchten, dass schlechte Gefühle die Oberhand gewinnen.
Aber unverarbeitete und unterdrückte Emotionen helfen Ihnen nicht, ein Gefühl der Zufriedenheit zu empfinden. Tatsächlich bewirken sie das Gegenteil, indem sie uns anfälliger für Stress, Angst und irrationale Ausbrüche machen. Eine Möglichkeit, Ihre Gefühle zu verarbeiten, besteht darin, alles aufzuschreiben und einen „mentalen Dump“ von dem zu machen, was Sie denken. Das kann helfen, die Negativität aus Ihrem System herauszuholen.
- Nehmen Sie Abstand
Manchmal hängt unser Kontrollbedürfnis mit den geäußerten Gedanken und Handlungen anderer Menschen zusammen. Ein Kollege macht möglicherweise weiterhin Witze, die Sie am falschen Fuß erwischen, selbst nachdem Sie ihn aufgefordert haben, damit aufzuhören. Möglicherweise haben Sie eine starke Meinungsverschiedenheit mit einem Freund und sind frustriert, dass Sie ihn nicht dazu bringen können, die Dinge so zu sehen, wie Sie es tun.
Laut dem Psychologieprofessor Art Markman müssen wir die Wut loslassen, die uns dazu bringt, die Handlungen anderer Menschen überhaupt kontrollieren zu wollen: „Wenn du wütend auf jemanden bist, denkst du oft immer wieder darüber nach, was er dir angetan hat, was dich emotional daran festhält, wie dir Unrecht getan wurde. Psychologen nennen dieses sich wiederholende Gedankenmuster „Wiederkäuen“.“
Laut Markman besteht der beste Weg, mit dem Wiederkäuen umzugehen, darin, eine gewisse psychologische Distanz zu schaffen. Für manche Menschen kann das körperliche Distanz erfordern. Wenn das nicht möglich ist, schlägt Markman vor, den Fokus auf andere Aspekte des eigenen Lebens zu richten oder es aus der Perspektive eines Freundes zu sehen. „Indem Sie sich dazu drängen, es von außen zu sehen, werden Sie Ihren Geist dazu bringen, die Situation abstrakter zu betrachten. Infolgedessen stehen Ihnen die spezifischen Details dessen, was diese Person getan hat, weniger zur Verfügung, und sie haben weniger Einfluss auf Ihren emotionalen Zustand.“
- Entscheiden Sie sich, in Zukunft damit umzugehen
Gerade dann, wenn uns unsere Sorgen sogar vom Schlafen abhalten, kann es sinnvoll sein, sich untertags bewusst Zeit für diese Gedanken zu nehmen. Diese Entscheidung, sich dem später, zu einem bestimmten Zeitpunkt zu widmen, lässt Sie im Moment leichter loslassen und einschlafen. Wenn es dann letztendlich soweit ist und es zu diesem Termin mit sich selbst kommt, haben wir oft schon einen hilfreichen Abstand gewonnen und tun uns leichter mit der Identifikation unserer Trigger. Manchmal hat sich in der Zwischenzeit die Bewertung von einer Situation vielleicht geändert und es fällt uns allein durch das Verschieben schon leichter, mit Unsicherheit und Unberechenbarkeit umzugehen.
- Lernen Sie, Unsicherheit als Teil des Lebens zu sehen
Wenn das Unbekannte unangenehm ist, neigen wir dazu, Fragen zu stellen und „Was-wäre-wenns“ zu generieren – in der Hoffnung damit Gewissheit zu schaffen. Allerdings besteht laut dem Psychologen Simon Rego der achtsame Weg zu einem Gefühl der Sicherheit darin, Toleranz gegenüber Unsicherheit aufzubauen. Es geht darum, zu lernen, welche unserer Sorgen „nützlich“ sind und für diese Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Gleichzeitig gilt es, die Sorgen, die uns „unnötig unglücklich“ machen, zu identifizieren und sie loszulassen. Er führt weiter aus: „Je mehr wir uns damit beschäftigen, desto souveräner können wir mit unseren Sorgen umgehen. Denn mit der Zeit wird es einfacher, sie beim Auftauchen gehen zu lassen, sie für später aufzuschreiben und dann unsere Aufmerksamkeit wieder auf das zu lenken, was wir eigentlich tun wollten.“
Quelle: Fast Company