Der Rhythmus von hell und dunkel
Das Wechselspiel von Licht und Dunkelheit bestimmt unser Leben – und erhält uns im Idealfall auch gesund. Dann nämlich, wenn wir mit diesem Rhythmus mitschwingen. Das ist nicht immer ganz einfach, wenn man in der Großstadt lebt, wo es nie wirklich dunkel wird. Doch im Vergleich zu Städten wie Singapur, Shanghai oder New York gibt es in Wien noch einen großen Unterschied zwischen Tag und Nacht. Das liegt auch an der vergleichsweise zurückhaltenden Beleuchtung.
Wenn morgens die Sonne aufgeht, beginnt das Leben, könnte man meinen. Die Vögel singen, die Blumen öffnen ihre Blüten, und die Menschen machen sich auf den Weg zur Schule, zur Arbeit oder zum Sport. Umgekehrt ist es am Abend: Sogar die Großstadt verliert deutlich an Lebhaftigkeit, das Licht ist gedämpft, und Ruhe kehrt ein. Dieser Tag-Nacht-Rhythmus ist in Wien noch sehr deutlich zu spüren, im Gegensatz zu manchen anderen Großstädten, wo die ganze Nacht hindurch die Sirenen heulen und die grellen Reklame-Leuchten nur wenig Dunkelheit zulassen. Ein klar wahrnehmbarer Unterschied zwischen Tag und Nacht tut gut, erklären die ChronobiologInnen. Weil wir diesen Wechsel von hell und dunkel brauchen, um gesund zu bleiben. Die Chronobiologie untersucht die in verschiedenen Zeitabständen wiederkehrenden biologischen Prozesse und deren Auslöser. Neben Schlafen und Wachen gehören dazu praktisch alle körperlichen Abläufe von der Verdauung bis zum Herzschlag, aber auch Verhaltensweisen wie regelmäßiges Essen oder Arbeiten.
Demnach verfügen wir, genau wie alle Lebewesen, über eine Art innere Uhr, in der viele verschiedene Rädchen ineinandergreifen. Sie drehen sich zwar mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, arbeiten aber harmonisch zusammen. Beeinflusst wird die innere Uhr auch durch äußere Taktgeber. Einer davon ist das Licht.
Licht macht glücklich
Als lichtaktive Lebewesen haben wir Tageslicht so notwendig wie Wasser und Nahrung. Es beeinflusst biologische Prozesse genauso wie unsere Psyche. Das beginnt beim lebensnotwendigen Vitamin D, das automatisch gebildet wird, wenn Sonnenlicht auf die Haut fällt. Es sorgt nicht nur für ein starkes Immunsystem, sondern schützt zum Beispiel auch vor Osteoporose und beeinflusst zahlreiche Stoffwechselvorgänge im Körper. Noch beeindruckender ist der Einfluss des Lichts auf unseren Hormonhaushalt. Dieser verändert sich nämlich direkt abhängig von der Lichtmenge und -qualität, der wir uns aussetzen, was wiederum weitere Abläufe im Körper steuert: Das Morgenlicht unterdrückt das Schlafhormon Melatonin, nun werden stattdessen Serotonin, Kortisol und Testosteron produziert. Wir werden munter und hungrig und sind bereit für den Tag. Serotonin ist übrigens eines der sogenannten Glückshormone, dessen Produktion von ausreichend Tageslicht abhängt. Ein chronischer Lichtmangel kann daher auf die Stimmung schlagen. Bemerkbar macht sich das oft in den Herbst- und Wintermonaten, in denen es sich besonders auszahlt, möglichst viel Zeit im Freien zu verbringen und so viel Licht wie nur möglich zu tanken.
Dunkelheit heilt
Doch nicht nur das Licht, sondern auch seine Abwesenheit spielt eine wesentliche Rolle im Uhrwerk des Lebens. Sobald es abends dunkel wird, dreht sich der Prozess nämlich um: Wir produzieren mehr Melatonin, was uns müde macht und auf den Schlaf vorbereitet. Der Spiegel des Stresshormons Kortisol sinkt, und das gesamte System stellt auf Regeneration um. Wachstum, Wundheilung und Erneuerung der Zellen werden im Schlaf angeregt. Organe wie zum Beispiel Leber, Lunge und Darm regenerieren sich, und auch das Gehirn nützt den Schlaf, um Informationen des Tages zu sortieren und zu verarbeiten. Das alles kann nur optimal geschehen, wenn es im Schlafzimmer tatsächlich dunkel ist. Denn nur dann können wir ausreichend Melatonin produzieren, das uns möglichst ohne Unterbrechung tief schlafen lässt. Nun ist Licht also für unsere innere Uhr störend.
Dieser Rhythmus von Schlaf- und Wachhormonen wird also wesentlich von Licht gesteuert, und wer sich dem natürlichen Wechsel von hell und dunkel hingibt, tut sich selbst viel Gutes: Denn je regelmäßiger unser inneres Uhrwerk läuft und je besser sein Rhythmus mit den äußeren Taktgebern zusammenpasst, desto weniger Energie brauchen wir, um alle seine Rädchen am Laufen zu halten. Anstrengend und auf Dauer ungesund ist es hingegen, wenn die biologischen Rhythmen immer wieder aus dem Takt geraten und sich umstellen müssen – zum Beispiel aufgrund von Nachtschichten oder Langstreckenflügen mit darauffolgendem Jetlag.
Auf die Farbe kommt es an
Wenn es nach den ChronobiologInnen geht, sollten wir dieses innere Uhrwerk also nicht zu sehr aus dem Takt bringen. Doch künstliches Licht kann genau das bewirken. Außer wenn man es achtsam einsetzt, sodass der natürliche Tagesverlauf nicht zu sehr gestört wird. Welcher Art von Licht wir uns zu welcher Tageszeit aussetzen, hat nämlich eine große Auswirkung auf unseren Hormonhaushalt. Dabei kommt es vor allem auf die Wellenlänge, sichtbar als Farbe, in Kombination mit der Lichtstärke an. Die Farbe entscheidet darüber, welche Wirkung Licht auf uns hat und ob es uns müde macht, aktiviert oder gar stresst. Je mehr Blauanteil im Licht vorhanden ist, desto anregender wirkt es auf den Hormonhaushalt. So wie das Tageslicht eben. Es macht uns wach und aktiv und wirkt sich über längere Zeit gesehen positiv auf unsere Stimmung aus, weil es die Serotoninausschüttung fördert. Wer in der dunklen Jahreszeit zu Winterblues neigt, kann daher mit einer Beleuchtung mit viel Blauanteil die Serotoninproduktion anregen und die Stimmung heben. Blauem Licht sollte man sich jedoch nur tagsüber aussetzen. Das gilt auch für Handy und Computer, deren Bildschirme einen hohen Blaulichtanteil aufweisen und ähnlich wie Tageslicht die Melatoninproduktion unterdrücken. Wer Wert auf guten Schlaf legt, verzichtet abends daher auf jegliche Art von Bildschirm.
Je mehr die Farbe der Beleuchtung ins Orange oder gar Rot geht, wie zum Beispiel bei Glühbirnen oder Kerzenlicht, desto gemütlicher wirkt ein Raum, eben weil diese Wellenlänge entspannt und sogar müde macht. Der Hormonhaushalt stellt nun auf Melatoninproduktion um – ideal also für die Abendstunden, um sich auf eine erholsame Nachtruhe vorzubereiten – am besten in einem völlig abgedunkelten Schlafzimmer.
Nacht in der Stadt
Genau das ist jedoch im Stadtgebiet oft gar nicht so einfach, denn eine Stadt kommt in der Nacht nicht ohne Licht aus, auch Wien natürlich nicht. Die Straßenbeleuchtung ist eine Frage der Sicher- heit, nicht nur für den Verkehr, sondern auch für alle, die nachts zu Fuß unterwegs sind. Während wir die Lichter der Nacht mit dichten Vorhängen abschirmen können, kann sich zu viel Lichtverschmutzung schädlich auf die Tiere und Pflanzen auswirken: Denn auch sie haben ihr Uhrwerk, das sich am Wechsel von Licht und Dunkelheit orientiert. Bei heller Nachtbeleuchtung fangen Singvögel morgens früher an zu singen, und Blaumeisen beginnen früher im Jahr mit dem Brutgeschäft. Das wird dann zum Problem, wenn es noch nicht genug Insekten gibt, um die Jungen zu ernähren. Nachts fliegende Zugvögel können durch zu viel Kunstlicht die Orientierung verlieren, und Fledermäuse können in ihren Ruhe- und Wachphasen sowie bei der Futtersuche gestört werden.
Dieses Problem entwickelte sich über mehrere Jahrhunderte und soll nun eingedämmt werden: Die ersten Straßenlaternen im 17. Jahrhundert gaben noch sehr spärliches Licht ab, doch mit Ein- führung der elektrischen Beleuchtung wurde es in Wiens Straßen immer heller. Besonders rasant stieg die Helligkeit der Lichtglocke über Wien zu Beginn des 21. Jahrhunderts an. Seit einigen Jahren trägt zumindest die Straßenbeleuchtung immer weniger zur Aufhellung des Nachthimmels bei. Das liegt an den neuen Leuchten, die nach und nach die bisherigen Kugellampen ablösen. Doch es bleibt ein Kompromiss: Die modernen LED-Lampen haben im Sinne der Verkehrssicherheit nämlich mehr Blauanteil im Licht als die Natriumdampflampen, was sich ungünstig auf das Schlafhormon auswirken kann. Dafür lassen sie sich je nach Bedarf dimmen und strahlen gezielter nach unten, dorthin, wo das Licht gebraucht wird. Nach oben hingegen dringt kein direktes Licht. Damit bleiben die Wohnungen dunkler, und die Tiere werden weniger gestört. Laut einer Studie locken diese Lampen deutlich weniger Insekten an. Und: Je weniger Licht in den Himmel strahlt, desto mehr Sterne sieht man wieder über Wien.
Beitragsbild: © WienTourismus/Christian Stemper