Öffentlich kommt von „offen“
Der öffentliche Raum ist ein begrenztes Gut, das von vielen unterschiedlichen Interessengruppen in Anspruch genommen wird. Damit er ein gelingender Ort für möglichst viele Menschen ist, braucht er die Mitgestaltung von ebenfalls vielen. Nur dann entsteht ein positiver Raum, der Visionäres entstehen lassen kann.
Wem gehört der öffentliche Raum? Um auf diese Frage eine Antwort zu finden, bedarf es zunächst einer Definition. Als öffentlicher Raum werden jene Flächen bezeichnet, die sich nicht in Privateigentum befinden, der Öffentlichkeit freizugänglich sind und von Gemeinden oder Körperschaften verwaltet werden. Konkret heißt das beispielsweise: Straßen, Gehsteige, Fahrradstreifen, Plätze, Grünflächen oder Parkanlagen. Und schon anhand dieser Beispiele lässt sich erahnen, dass hier viele unterschiedliche Interessen aufeinandertreffen.
Fortbewegung
Viel diskutiert wird das Thema öffentlicher Raum im Zusammenhang mit Mobilität. Zwei Drittel des als Verkehrsflächen ausgewiesenen öffentlichen Raums sind in Wien derzeit für den motorisierten Verkehr (Fahrbahnen und Parkplätze) vorgesehen, rund 31 % sind Gehsteige, der Rest, also jeweils etwa ein Prozent, sind Fahrradwege und Fußgängerzonen. „Das ist mit Sicherheit keine gute Flächenverteilung“, sagt Elisabeth Oberzaucher und setzt fort: „Darunter leiden nicht nur andere Mobilitätsformen, sondern auch öffentliche Räume wie Grünflächen und Begegnungsräume, die ebenfalls eine wichtige Funktion haben.“ Oberzaucher ist Verhaltensbiologin und beschäftigt sich mit der Frage, wie Städte gestaltet werden müssen, um einen bestmöglichen Lebensraum für Menschen zu bieten.
Auch der Zukunftsforscher Andreas Reiter ist sich sicher: „Die Stadt muss ‚walkable‘ und ‚bikeable‘ werden. Der entscheidende Faktor dafür ist Sicherheit.“ Das gilt insbesondere im Hinblick auf das Radfahren. Ein möglichst lückenloses Radwege-Netz mit sicheren Fahrspuren erhöht die Bereitschaft, auf das leise, platzsparende und emissionslose Verkehrsmittel umzusteigen, enorm. Das zeigt ein Blick in Städte wie Utrecht: Dank einem sicheren Wege-Netz kann man eindrucksvolle Zahlen präsentieren, beispielsweise werden 60 % aller Fahrten in die Innenstadt mit dem Rad zurückgelegt.
Stillstand
Im Fokus von Oberzauchers Arbeit steht auch immer wieder die Frage: Wohin mit den parkenden Autos? „Der Verkehrsforscher Hermann Knoflacher bezeichnet Autos gerne als ‚Stehzeuge‘ – und er hat recht. Viele Autos stehen größtenteils unbewegt herum. Wenn sie im öffentlichen Raum herumstehen, verursachen sie viel Schaden für die Funktionalität einer Stadt.“ Spannende Lösungen hierfür sieht sie in Sammelgaragen, die sich in der Nähe des Wohnorts befinden, aber nicht direkt dort. Dadurch können die öffentlichen Flächen in der unmittelbaren Umgebung der Wohnhäuser von den dort lebenden Menschen genutzt werden. Zudem ist die Chance höher, dass Menschen mitunter auf das Auto verzichten und den öffentlichen Verkehr nutzen, wenn der Weg zur nächsten Haltestelle ähnlich lang ist wie jener zum Auto. Und was spricht gegen eine Tiefgarage direkt unter den Wohnhäusern? „Wenn ich mit meinem Auto in die Tiefgarage fahre und dann direkt von dort mit dem Lift zur Wohnung – das verhindert beinahe jede Gelegenheit zur Interaktion mit meinen NachbarInnen“, so die Verhaltensbiologin. „Zudem ist ein kurzer Fußweg zwischen Auto und Wohnung extrem wichtig für die Belebung des öffentlichen Raums.“
Planung
Genau diese „Belebtheit“ ist wichtig, damit sich Menschen an öffentlichen Plätzen wohlfühlen. „Niemand mag menschenleere Orte. Das vermittelt, dass andere Menschen diesen Ort nicht mögen und dieser nicht attraktiv ist.“ Doch wie auch bei der Mobilität, treffen auch bei der sonstigen Nutzung unterschiedlichste Interessen aufeinander. „Es gibt natürlich große Nutzungskonflikte und mitunter sogar einen Verteilungskampf“, sagt Reiter. Ein entscheidender Faktor für eine erfolgreiche Gestaltung von öffentlichen Orten ist Partizipation, also dass bei den Planungen vor allem jene Menschen einbezogen werden, welche die Orte dann auch nutzen – und ihre Ideen und Meinungen auch ernst genommen werden. „Für echte Partizipation müssen die Menschen ermächtigt werden, etwas beizutragen, und entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden“, erklärt Oberzaucher, die Partizipation nicht nur für den Prozess der Planung als enorm wichtig ansieht. „Man spricht dabei auch vom IKEA-Effekt. Das heißt: Wenn Menschen etwas selbst machen, identifizieren sie sich viel stärker damit.“ Reiter sieht auch in zusätzlichen Anreizsystem eine spannende Option: „Beispielsweise könnte man BürgerInnen, die sich aktiv einbringen, mit Kulturgutscheinen oder Ähnlichem belohnen.“
Umsetzung
Was in der Theorie recht simpel klingt, ist in der Praxis ein schwieriger Prozess, bei dem – auch aufgrund der schon angesprochenen unterschiedlichen Interessen – viel Feingefühl gefragt ist. Die Verantwortlichen müssen bereit sein, den BürgerInnen gewisse Freiheiten zu geben. „Das fällt oftmals schwer, weil sie Angst haben, dass es nicht so wird, wie sie es sich vorgestellt hätten.“ Dabei ist es oft das Unperfekte, das einen öffentlichen Raum „gemütlich“ erscheinen lässt. „Urban-Gardening-Aktionen sind da ein gutes Beispiel“, sagt Oberzaucher. Diese seien mitunter nicht so perfekt gepflegt wie von der Stadt angelegte Bepflanzungen, aber genau das mache sie so wertvoll. „Man sieht daran: Das ist nicht von einer Institution gemacht, sondern von Menschen. Und das ist total wichtig für die soziale Einfärbung eines Ortes. Dadurch erhält der Ort eine Seele.“
Mehr Bedarf
Die Bedeutung des öffentlichen Raums für die Lebensqualität einer Stadt wie Wien wird in Zukunft noch wichtiger werden, darüber sind sich die ExpertInnen Oberzaucher und Reiter einig. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass der private Wohnraum tendenziell kleiner wird. Oberzaucher dazu: „Das hat natürlich mit finanziellen Aspekten zu tun, gleichzeitig ist eine Reduktion von Wohnfläche und somit des Platzbedarfs auch im Hinblick auf den Klimaschutz wünschenswert.“ Reiter nennt noch einen weiteren Grund – den Trend zum Homeoffice. Wenn Menschen vermehrt in den eigenen vier Wänden arbeiten, braucht es umso dringender Möglichkeiten zum Verweilen in der unmittelbaren Umgebung außerhalb der Wohnung. „Die Menschen können ja nicht tagelang in ihrer eigenen Wohnung sitzen, sie müssen zwischendurch auch einmal raus.“
Neue Lösungen
Eine spannende Rolle diesbezüglich werden auch teilöffentliche Flächen einnehmen. Die Definition von teilöffentlich ist etwas unscharf. Beispielsweise können dies private Flächen sein – wie eine Dachterrasse eines Einkaufshauses – die ohne Konsumzwang von der Öffentlichkeit genutzt werden können. „Solche Public-Private-Konzepte sind hierzulande vergleichsweise neu, dass Unternehmen so etwas anbieten, finde ich eine sehr spannende Entwicklung“, sagt Reiter. Ebenfalls als teilöffentliche Flächen werden – je nach Definition – auch Gemeinschaftsflächen in Wohnanlagen bezeichnet. Eine ansprechende Gestaltung dieser erhöht nicht nur den Komfort der BewohnerInnen, sondern kann auch das soziale Gefüge verbessern. „Der Homo sapiens ist ein soziales Tier. Das Sozialverhalten versagt jedoch mitunter in anonymen Situationen“, so Oberzaucher. Daher braucht es in Hausgemeinschaften Flächen, wo sich Menschen
zufällig begegnen können. „Im Idealfall haben diese auch eine Aufenthaltsqualität, so dass ich nicht nur das Ziel habe, möglichst schnell weiterzugehen.“ Dadurch werden Gelegenheiten geschaffen, bei denen sich Menschen begegnen und die Anonymität aufgebrochen wird. Möglicherweise setzen sie dann Schritte, um diese Begegnungen zu vertiefen. Und selbst wenn nicht, man weiß zumindest: „Diese Person gehört auch an meinen Ort.“
Warum der öffentliche Raum so wichtig für die Gesellschaft ist, erfährt man auch in diesem Video der Heinrich-Böll-Stiftung:
Copyright Beitragsbild: Adobe Stock