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Fundort Zukunft

Wo die Baumaschinen Tunnels für die modernste U­-Bahn Wiens graben, suchen die Stadtarchäo­logInnen nach handfesten Zeugnissen aus der Vergangenheit der Stadt, von den ehemaligen Vor­stadtsiedlungen bis zurück zu den römischen Legionären. Sogar ein Relikt aus der Urzeit kam zum Vorschein. Jedes gefundene Stück ist ein weiteres Puzzleteil in der Geschichte Wiens.

 

Nur noch rund zwei Jahre, und Wiens erste vollautomatische U-Bahn-Garnitur wird zwischen Karlsplatz und Frankh­platz in Betrieb gehen. Die neue U5 wird ganz ohne Fah­rerIn auskommen, die Türen öffnen und schließen automatisch, und auch in den Stationen wird es anders aussehen als bisher: Zwischen Bahnsteig und Gleisen sorgen dann Bahnsteigtüren und große Glasflächen für Sicherheit. Da die U5 in Zukunft zum Teil auf der derzeitigen Strecke der U2 fahren wird, müssen hier einige der bestehenden Stationen umgerüstet werden. Zwischen dem Rathaus und Hernals erobert die U5 aber unterirdisches Neuland, weshalb hier auch einige komplett neue U5­-Stationen entstehen. Die erste davon ist die Station Frankhplatz im 9. Bezirk.

Hell und futuristisch wird sie aussehen – von den Zugängen auf Straßenniveau bis hinunter zu den Bahnsteigen. Doch derzeit ist noch nichts davon zu sehen. Zumindest nicht über der Erde. Darunter allerdings, nämlich bis in eine Tiefe von 23 Metern, sind die Bohr­- und Bauarbeiten schon seit mehreren Jahren im Gange, und man kann sogar ein bisschen ehrfürchtig werden angesichts der bautechnischen Meisterleistung. Schließlich stehen hier rundherum altehrwürdige Gebäude, deren Fundamente durch die Arbeiten keinesfalls gefährdet werden dürfen, und auch das Stadt­leben geht in den Straßen über weite Strecken beinahe ungestört weiter, während darunter tonnenweise Erdmaterial bewegt wird.

 

Baumaschinen und Spaten

„Minimalinvasiv“ – diesen Begriff kennt man eigentlich nur aus der Medizin, wo auch große Operationen oft mit nur winzigen Schnitten auskommen. Doch auch der U­-Bahn-­Bau kann zumindest abschnittsweise funktionieren, ohne die Oberfläche stören zu müs­sen: teils auf die konventionelle Art mit Baggern und Lastwägen wie am Frankhplatz, teils aber auch mit einer 120 Meter langen Tunnelvortriebsmaschine. Diese wird sich im Herbst vom Matzleinsdorfer Platz aus wie ein Maulwurf durchs Erdreich graben, während sie gleichzeitig das Tunnelrohr abdichtet und auskleidet und sogar das Erdmaterial automatisch abtransportiert.

Doch bevor die großen Maschinen wirklich an die Arbeit gehen durften, machte sich eine ganz andere Berufsgruppe ans Werk: Mit einfacher Schaufel, Spaten und Kelle – und einem geschulten Auge für winzige Scherben und kleinste Unregelmäßigkeiten im Erdreich – begannen die StadtarchäologInnen mit ihrer Grabung. „Eine soge­nannte vorgezogene Grabung, wie sie am Frankhplatz möglich war, ist der Idealfall“, erklärt Kristina Adler­-Wölfl, Leiterin der Wiener Stadtarchäologie. In den meisten Fällen beginnen die Bagger näm­lich sofort mit der Arbeit, und die ArchäologInnen stehen dabei, um sie zu stoppen, sobald archäologische Befunde zutage kommen. Im Bereich des Parkplatzes am Frankhplatz hatten die Stadtarchäolo­gInnen ausnahmsweise rund drei Monate Zeit, um ungestört und Schicht für Schicht nach Spuren der Vergangenheit zu suchen.

 

2.000 Jahre Wiener Geschichte

So kamen zunächst die Mauerreste der 1912 abgerissenen Alser Kaserne zum Vorschein. Danach stießen die ArchäologInnen auf Kelleranlagen von Vorstadthäusern aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. Diese Häuser lagen nahe am Glacis, der damaligen Bauver­botszone rund um die Stadt – eine hochgefährliche Wohngegend in der Zeit der Türkenbelagerungen, denn hier – außerhalb der Stadtmauern – gab es keinen Schutz, und die Siedlungen wurden während der Kämpfe dem Erdboden gleichgemacht. Erst nach 1683 konnte man hier wieder in Sicherheit leben, und der Grüngürtel um die Stadt wurde nun immer mehr für Marktstände und Lagerhütten genutzt.

Wer hier wohl Lebensmittel und Brennholz gelagert hatte? „Es ist selten, dass man von dieser Vorstadtverbauung archäologische Reste dokumentieren kann, weil das meistens längst überbaut ist“, erklärt Kristina Adler­Wölfl. Denn sobald für ein neu gebautes Haus der Keller ausgehoben wurde, ist dieser Bereich für die Archäologie verloren. Nur tiefer gelegene Objekte wie Brunnen und Latrinen können dann noch von alten Zeiten erzählen, und ausgerechnet diese zu finden ist reine Glückssache. Doch damit müssen die StadtarchäologInnen leben. „Wien ist eine Stadt, die benutzt wurde. Was früher gefunden wurde, wurde weiterverwendet. Römische Steinmauern waren zum Beispiel das Baumaterial für neue Gebäude. Da ist sehr viel an Archäologie zerstört.“

 

Zwei Überraschungen

Die Arbeit der ArchäologInnen stellt dabei eine wichtige Ergänzung zur Geschichtsforschung dar, denn was in den alten Plänen und Schriftstücken steht, ist zwar wertvolle Information, was hingegen die ArchäologInnen tief im Boden vorfinden, sind handfeste Beweise, die Klarheit schaffen – und auch für Überraschung sorgen kön­nen. Wie zum Beispiel bei den Grabungen am Augustinplatz, wo ein Notausstiegsschacht für die U-­Bahn gebaut wird. Es ist das Gebiet des mittelalterlichen Ortes St. Ulrich, der wegen seiner günstigen Lage direkt am Ottakringer Bach schon früh dicht verbaut war. Hier haben die StadtarchäologInnen Reste einer Holzröhrenleitung gefunden, deren Holz sie genau auf das Jahr 1475 datieren konn­ten. „Diese Leitung hat Quellwasser in die Stadt geführt. Durch die Dendrochronologie konnten wir anhand der Jahresringe im Holz nachweisen, dass die Wasserleitung schon länger existierte, als das in Urkunden belegt ist“, so Kristina Adler­-Wölfl.

Auch am Frankhplatz gab es eine Überraschung: „Wir haben ver­ mutet, dass wir hier schon im Bereich des römischen Gräberfeldes sind, tatsächlich war hier noch die Lagervorstadt.“ Anstatt der erwarteten Gräber stießen die ArchäologInnen auf die Reste von Brunnen, Latrinen, Öfen und Gebäuden. Kleine Gräben markieren antike Grundstücksgrenzen, Pfostenlöcher lassen erahnen, wo das Vordach der römischen Veranda gestützt wurde. „Die Lagervor­stadt war also größer als bisher gedacht“, so die Archäologin. Am heutigen Frankhplatz lebten – noch lange bevor hier die mittelal­terliche Vorstadt entstand – schon Kaufleute, HandwerkerInnen und WirtInnen, aber auch Angehörige der Legionssoldaten, die im Lager von Vindobona stationiert waren.

 

Ab ins Museum

Tiefer als zwei oder höchstens drei Meter graben die Archäolo­gInnen hier allerdings nicht. „In großer Tiefe findet man höchstens noch einen Mammutzahn, doch der gehört dann schon zur Paläon­tologie“, erklärt Kristina Adler-­Wölfl. Dass sie damit goldrichtig liegt, stellte ein Baggerfahrer während der Arbeiten am neuen U5­-Tunnel fest. Hinter der Universität auf der Höhe der Ebendorferstraße stieß er in 13 Meter Tiefe auf ein Objekt, das er zunächst für versteinertes Holz hielt. Tatsächlich hatte er einen 73 Zentimeter langen Mammut-Stoßzahn gefunden, der als paläontologischer Fund nun im Depot des Naturhistorischen Museums aufbewahrt wird.

Was geschieht eigentlich mit all den archäologischen Überresten? „Erdbefunde wie zum Beispiel Brunnen kann man aus technischen Gründen oft nicht erhalten. Schließlich lebt die Stadt weiter und muss benutzbar sein. Sie erhalten sich aber, indem wir sie doku­mentieren“, so Adler-­Wölfl. Die Ergebnisse können dann auf der Website der Stadtarchäologie und in der jährlichen Zeitschrift „Fundort Wien“ nachgelesen werden. Keramik, Tierknochen und sonstige bewegliche Funde werden näher bestimmt und kommen schließlich ins Wien Museum, wo sie für die zukünftige Forschung aufbewahrt werden. Übrigens: Das Wien Museum ist am besten von der U­-Bahn­Station Karlsplatz zu erreichen – zum Beispiel bald mit der hypermodernen U5!

 

Zur Person:

Dr. Kristina Adler-Wölfl ist klassische Archäologin mit Schwerpunkt auf provinzi­alrömischer Archäologie und seit Sommer 2023 Leiterin der Stadtarchäologie Wien. (Foto: Stadtarchäologie Wien/G. Musil)

Einen Überblick über die archäologischen Funde am Frankhplatz finden Sie hier.

Die kurze Dokumentation zeigt spannende Einblicke in die Vergangenheit der Stadt:

 

Stationsentwurf: Architekt Moßburger<br />
Liniendesign: YF Architekten + Franz&amp;Sue<br />
Beitragsbild © OLN Office le Nomade

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